Im November werde ich zum zweiten Mal am ohfamoos-Barcamp teilnehmen. Es findet in diesem Jahr in Essen statt. Dort bin ich eingeladen, in einem Impuls-Referat über das Thema Freiheit zu sprechen. Die Aufgabe teile ich mir mit meiner Kollegin Jeannette Hagen. Elke Tonscheidt, eine der ohfamoos-Herausgeberinnen und eine frühere Kollegin hat mich eingeladen, weil sie weiß, dass für mich die Beschäftigung mit Verantwortung als Grundprinzip eine große Bedeutung besitzt. In der Vorbereitung beschäftige ich mich mit der Abgrenzung verschiedener Begriffe, die meiner Ansicht nach relevant sind, wenn wir über Freiheit und Verantwortung nachdenken und sprechen.
Freiheit ist ein zentraler Wert für uns Menschen. Freiheit wird jedoch unterschiedlich verstanden und definiert. Freiheit statt Sozialismus war beispielsweise einer der stärksten politischen Wahlkampf-Slogans in der Geschichte der CDU. Auch ökonomisch wird großer Wert gelegt auf die unternehmerische Freiheit als Triebfeder von Fortschritt und Wohlstand unserer Gesellschaft.
Unternehmerische Freiheit muss nach Meinung vieler Ökonomen und Politiker unbedingt verteidigt werden. Also bedingungslos, weil nur die unternehmerische Freiheit des Menschen den Wettbewerb garantieren kann. Eingriffe in die unternehmerische Freiheit führen tendenziell zu staatlicher Bevormundung, Unwirtschaftlichkeit und letztlich zum Verlust gesellschaftlicher Freiheit.
Freiheit ist danach sowohl Voraussetzung als auch Ergebnis von unternehmerischem Erfolg. Steuern und Abgaben sind grundsätzlich Eingriffe in die unternehmerische Freiheit, weil sie dem Unternehmer die Möglichkeiten begrenzen oder im Extremfall völlig nehmen, sein Kapital in das Unternehmen zu investieren.
Zweck von Unternehmen sei daher, Gewinne mit Produkten und Dienstleistungen zu erzielen. Damit, so der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman bereits 1970, nähmen Unternehmen ihre soziale Verantwortung umfassend wahr. Über das Prinzip der Gewinnmaximierung hinausgehende Verantwortung könnten Unternehmen allein schon deswegen nicht übernehmen, weil es sich um bloße juristische Personen handele, die auf der Grundlage von Verträgen operierten. Verantwortung können nur natürliche Personen übernehmen, weil nur sie moralische, rechtliche und soziale Verpflichtungen miteinander harmonisieren und in ethisches Handeln umsetzen könnten.
Manager von Unternehmen seien nichts als Angestellte der Unternehmenseigentümer. Das seien die Shareholder, die Anteilseigner oder Gesellschafter. Ihnen seien Manager rechenschaftspflichtig, weshalb der Shareholder-Value, also der Nutzen für die Eigentümer, oberste Priorität haben müsse. Zu messen sei der Shareholder-Value einzig und allein am Gewinn.
Wenn nun Top-Manager von Unternehmen, wie kürzlich in den USA geschehen, das Prinzip des Shareholder-Value relativierten, handelten sie unverantwortlich, schreibt heute Patrick Welter in der Kolumne „Der Sonntagsökonom“ der FAZ-Sonntagszeitung. Tatsächlich haben jüngst Top-Manager der im Business-Roundtable zusammengeschlossenen wichtigsten und größten Aktiengesellschaften aus den USA eine Erklärung verabschiedet, in der sie den Shareholder-Value an Position fünf einer fünf Punkte umfassenden Liste von Selbstverpflichtungen zurückstuften.
Unter dem Titel „Ein Hoch auf den Gewinn“ reagiert nun der FAZ-Kolumnist mit einer ausführlichen Berufung auf Milton Friedmann und mit einigem Hohn und Spott („Darf es noch ein wenig mehr sein?“) auf die tatsächlich spektakuläre Kurswende. Zuvor hatte der Shareholder-Value seit mehr als zwanzig Jahren als Richtschnur für „gutes unternehmerisches Handeln“ gedient. Man kann die FASZ kaum anders verstehen, als dass sie als führende Wirtschaftszeitung in Deutschland die Erklärung für ein Eingeständnis der Schwäche halten. Ein „suizidaler Impuls“ wie es Friedman bezeichnete. Man verleihe damit jenen Glaubwürdigkeit, die „Gewinnerzielung (für) schlecht und unmoralisch“ halten. Weil diese Kapitalismuskritiker nach externer Kontrolle riefen, werde es wahrscheinlicher, das „der Markt (…) durch die eiserne Faust von Regierungsbürokraten“ reguliert werde.
Freiheit ist für mich persönlich sehr viel mehr als die Freiheit von staatlicher Zwangsregulierung! Freiheit bedeutet für mich auch, die Möglichkeit, Argumente unvoreingenommen und unverbindlich auf ihre Stichhaltigkeit prüfen zu dürfen. Wenn ich mir die Freiheit nehme, den FAZ-Beitrag kritisch zu lesen, stelle ich sogar fest, dass die Berufung auf Freiheit unmittelbar die Frage der Verantwortung und Verantwortlichkeit nach sich ziehen kann. Ich halte den Ansatz von Patrick Welter für brandgefährlich. Und zwar aus verschiedenen Gründen:
Erstens folgt die FASZ mit dem Abdruck der zunächst einmal legitimen persönlichen Meinungsäußerung von Patrick Welter einem Muster der Einschüchterung: ein „Nobelpreisträger“ wird bemüht, um die bemerkenswerte Nachricht der Kurskorrektur des Business Roundtable zu neutralisieren. Das wäre an sich ok, wenn die Argumentation von Friedman stichhaltig wäre. Sie ist jedoch in einem zentralen Teil mehr als fragwürdig. Nämlich dort, wo sich Friedman versteigt, Unternehmen die Fähigkeit der Übernahme von Verantwortung abzusprechen.
Friedman gehört zu den Wegbereitern einer der bedenklichsten und demokratiefeindlichsten Entwicklungen der letzten 50 Jahre. Die Rede ist von der Entscheidung des U.S. Supreme Court, die unter dem Schlagwort „Citizens United“ in die Rechtsgeschichte einging. Die Bedeutung dieser zunächst rein innenpolitisch amerikanischen Entscheidung für die Welt hat unmittelbar mit jenen Problemen zu tun, die heute zum Scheitern von globalen Bemühungen zum Klimaschutz, zum Abbau von Fluchtursachen und zu dem schlechten Ruf geführt haben, den „Konzerne“ und „Lobbyismus“ weltweit genießen.
Mit der Entscheidung „Citizens United v. FEC“ ist 2010 die Möglichkeit geschaffen worden, dass Unternehmen nicht nur Spenden an politische Parteien und für politische Meinungsbildung in Wahlkampforganisationen (Super-PACs) richten und als Betriebsausgabe steuerlich geltend machen dürfen. Unternehmen, so befand der seinerzeit von der Republikanischen Partei nahestehenden und größtenteils von den U.S.-Präsidenten Reagan und Bush nominierten Richtern besetzte Oberste Gerichtshof der USA, hätten auch ein Recht auf „freie Meinungsäusserung“ nach dem ersten Verfassungszusatz der US Constitution. Als solches hätten sie das Recht, sich in politischen Kampagnen für ihre Interessen finanziell und auch inhaltlich stark zu machen.
Die Folge dieser Entscheidung ist eindeutig: Wahlkämpfe werden immer teurer, weil die Unternehmens- und Brancheninteressen politische Kandidaten, die ihre Linie vertreten, mit Unsummen an Geld ausstatten. Dieses Geld wird zur Beeinflussung der Öffentlichkeit eingesetzt, was ursprünglich hauptsächlich mittels Fernsehwerbung und damit mit hohen Streuverlusten geschah. Heute fliessen die Mittel vor allem in „Social Targeting“ Modelle der Internetkonzerne. Cambridge Analytica war eines der Unternehmen, die auf völlig intransparente Weise Nutzerdaten auswerten und für gezielte Kampagnen einsetzen, um zuvor identifizierte Schlüsselwahlkreise und -Staaten zu gewinnen.
Auch ohne die illegalen Methoden von Cambridge Analytica ist diese Beeinflussung hoch problematisch: Wer Geld hat, kann sich heute gezielter den je Einfluss kaufen! One Man, one Vote, das Ur-Prinzip der Demokratie, wonach jede Stimme das selbe Gewicht hat, verliert in diesem Kontext ihre demokratische Sicherungsfunktion. Manipulation ist nur noch eine Frage des Geldes.
Für unsere Frage nach der Aufgabe eines Unternehmens – und der Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung – ist diese Entwicklung scheinbar nicht von Bedeutung. Scheinbar.
Tatsächlich aber zeigt sich an diesem Beispiel die Fragwürdigkeit der Friedman’schen Logik: entweder ist ein Unternehmen eine juristische Person ohne Fähigkeit zur Wahrnehmung von Verantwortung, oder es ist ein Rechtssubjekt, dem freie Rede nicht eingeschränkt werden darf. Eines ohne das andere ist nicht zu haben – und auch nicht verantwortlich. Es ist unmöglich, Freiheit ohne Verantwortung zu denken! Und es ist richtig, Verantwortung zu übernehmen für Interessen, die über das eigene Wohl hinausgehen!
Wie krass die Folgen der gegenwärtig bestehenden Bevorzugung von Konzern-Interessen sind, zeigt sich daran, dass die Folgen der Bankenkrise die Weltwirtschaft global beinahe zum Zusammenbruch gebracht hätten, wären nicht die Staaten mit Bürgschaften, Krediten und Verstaatlichung von Unternehmen eingesprungen. Die öffentlichen Haushalte wurden mit hunderten von Milliarden Euro belastet. Praktisch kein Manager ist für die durch Gier und Überheblichkeit verursachte und von Führungsversagen begünstigte Krise strafrechtlich belangt worden. Warum nicht? Es sei im Auftrag und Interesse von Unternehmens gehandelt worden.
Wie bitte? Vorsatz konnte den Managern nicht nachgewiesen werden, daher blieben sie – die doch eigentlich laut Friedman und der FASZ verantwortlich seien – weitgehend straffrei. Die von den Unternehmen zu tragenden Strafzahlungen waren im Vergleich zum tatsächlichen Schaden geradezu lächerlich niedrig. Allein in den USA hat die Regierung Steuermittel in Höhe von 17 Billionen Dollar aufwenden müssen, um die Krise zu begrenzen. Das sind 17.000 (Siebzehntausend) Milliarden. Rechnet man die verhängten Strafzahlungen in Höhe von knapp 250 (zweihundertfünzung) Milliarden Dollar gegen, bleibt eine Belastung des amerikanischen Steuerzahlers von 16.275 Milliarden Dollar!
Tatsächlich verdeutlicht diese Gegenüberstellung (Quelle: Forbes und Keefe, Bruyette and Woods) wie fahrlässig Qualitätsmedien wie die FAZ und ihr Sonntagsableger mit ethischen Fragen an Konzerne umgehen. Hat es damit zu tun, dass die FAZ ein „Pflichtblatt der Börse“ ist und den Zorn der Branche fürchtet, wenn sie Klartext abdruckt?
Klar ist: natürlich müssen sich auch Unternehmen (wie Einzelpersonen) verantwortlich verhalten! Hire&Fire ist ebenso kurzsichtig wie Führung mit Zuckerbrot und Peitsche. Generell ist dies eine Erkenntnis, die alle Unternehmen betrifft. Allerdings betrifft es den Mittelstand vorwiegend als leidtragende Cash-Cow für den Ausgleich des Staatshaushaltes, der durch verantwortungsloses Handeln von (großen) Unternehmen in dramatische Schieflagen gerät. Ein Grund mehr für mittelständische Unternehmer, umzudenken. Sie haben wesentlich mehr mit ihren Mitarbeitern gemeinsam als mit den von lokalen und regionalen Bindungen und Loyalitäten völlig befreiten Konzernen. Um so besser, wenn jene wie nun der Business Roundtable erkennen, dass Shareholder Value eine hohle Phrase ist, solange man nicht automatisch Corporate Social Responsibility mit in die Betrachtung einbezieht!
«Die Wirtschaftlichkeit ist die Basis unserer Existenz, nicht aber der Sinn unseres Handelns!«
— Bodo Janssen
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