In der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung findet sich ein spannender Beitrag zum Thema „Mobbing in der Arbeitswelt“. Darin heisst es unter anderem, dass der Schaden, den die deutsche Wirtschaft durch Mobbing erleidet, jährlich rund 15 bis 20 Milliarden Euro beträgt. Eine durchschnittliche Fehlzeit durch Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Beeinträchtigung ist mit 37 Tagen mehr als doppelt so lange wie der typische statistische Krankheitsfall in deutschen Unternehmen.
In einem Schreiben an die Redaktion der Süddeutschen habe ich darauf hingewiesen, dass es Möglichkeiten geben könnte, für mehr Wertschätzung und damit für mehr Wertschöpfung in der deutschen Arbeitswelt zu sorgen. Mein Schreiben hat folgenden Wortlaut:
Seit nun drei Jahren beschäftige ich mich mit dem „Big Five for Life“ Konzept von John Strelecky. Es beschreibt eine Führungskultur (auch Selbst-Führung), die ich in meiner vorherigen langjährigen beruflichen Tätigkeit in der Bundespolitik seit 1995 schmerzlich vermisst habe. Erfolg wurde und wird in der Politik fast ausschliesslich als Ergebnis des Misserfolgs des jeweiligen Gegners definiert. Und darauf richtet sich fast ausnahmslos das eigene Tun aus. Ein Zustand, der nicht gesund ist, weder persönlich noch gesellschaftlich.
Auch in der Wirtschaft ist der Erfolgsbegriff stark extrinsisch definiert: Benchmarks, Zielvorgaben, materielle Kennziffern und Güter wie Gehalt, Dienstwagen oder Personalstärke gelten landläufig als „erfolgreich“.
Dem gegenüber lenkt das Big Five for Life Konzept die Aufmerksamkeit auf das, was – individuell verschieden – jeweils persönlich zählt. Jeder Mensch hat persönlich geprägte intrinische Motivatoren. Diese sind jedoch viel zu stark aus dem Blickfeld geraten und werden grundsätzlich vernachlässigt. Selbst wenn Menschen wissen, was in ihrem Leben wirklich zählt, gibt es in diesen Punkten viel zu selten eine Beziehung zur beruflichen Existenz. Die alljährliche Gallup-Befragung über Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist nur einer von zahlreichen quantitativen und qualitativen Belegen für diese Tatsache.
Wenn es dagegen gelingt, dieses Bewusstsein für die Individualität des Erfolgsbegriffes – die Big Five for Life sind diesbezüglich sicher nicht der einzige, aber ein sehr leicht verständlicher und dennoch tiefgehender Ansatz – stärker zu verankern bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern, bei Auszubildenden, Schülern und Lehrern, wird zumindest eines erreicht: eine deutlich höhere Wertschätzung füreinander. Dies senkt die Wahrscheinlichkeit für persönlich verletzende Angriffe wie Mobbing.
Es steigert auch die Wertschöpfung im Unternehmen, wenn sich alle Beteiligten auf eine stärkere Übereinstimmung von betrieblichen und persönlichen Big Five for Life im jeweiligen Aufgabenbereich ausrichten. Hierbei ist es allerdings von zentraler Bedeutung, dass das Konzept von der Spitze abwärts gelebt wird und damit der Praxis Glaubwürdigkeit verleiht.
Natürlich ergeben sich auch weiterhin Konflikte und Probleme. Doch nimmt die Dramatik und Intensität ab, in der sich Dinge zuspitzen, weil es mit den Big Five for Life ein Instrument gibt, was auch in diesen Fällen die Verständigung und Ausrichtung auf das, was wirklich zählt, erleichtert. Wenn beide Konfliktparteien sich gegenüber der Unternehmensöffentlichkeit erklären müssen, wie ihr jeweiliges Tun oder Unterlassen mit dem Zweck der Existenz des Unternehmens und den jeweils persönlichen Big Five for Life vereinbar ist, werden so Konfliktlinien und Lösungswege gleichzeitig sichtbar.
Gemessen an der oftmals – auch in ihrem Beitrag beschriebenen – düsteren Wirklichkeit in Unternehmen (und anderen Bereichen der Gesellschaft) mag es utopisch klingen und zu schön, um wahr zu sein. Vielversprechende Erfolge aus zahlreichen Unternehmen auf der ganzen Welt lassen es jedoch als wünschenswert erscheinen, dass sich die Öffentlichkeit näher mit diesem Ansatz beschäftigt.
Ob dies unter dem Label des Big Five for Life Konzeptes geschieht, oder nicht, ist völlig zweitrangig. Der Vorteil des Konzeptes liegt wie erwähnt nicht darin, dass er neue Wahrheiten entdeckt hätte. Aber er bereitet den Inhalt von Selbstverständlichkeiten in sehr leicht zugänglicher Weise auf.
Deswegen habe ich mich entschlossen, meinen beruflichen Schwerpunkt auf diesen Bereich zu verlagern.